Shintō-Schrein-Regeln

Takako und Aoi waren seit langem befreundet. Jeden Tag trafen sie sich und so hatten sie sich auch heute wieder einmal in der Stadt verabredet. Nachdem sie einige Snacks gekauft hatten, suchten sie einen Platz, an dem sie quatschen und die Zeit verbringen konnten. Sie fanden dafür einen alten Schrein und betraten das Areal durch das Torii.

Niemand sonst war hier und die beiden spielten vergnügt mit der Glocke, lachten und aßen.

Die ganze Zeit über kam kein anderer Besucher vorbei, und als es auf den Abend zuging, schaute sich Takako noch einmal um. Sie wollte den Schrein nicht einfach so verlassen, sondern suchte nach einem schönen Stein auf dem Gelände, den sie als Glücksbringer mitnehmen wollte. Am Rande fand sie einen hübschen Kiesel und steckte ihn daher ein.

Danach nahmen beide ihre Taschen auf, ließen jedoch den Müll zurück und verließen den Platz.

Es war zwar schon Abend, aber Aoi kam die Dämmerung etwas zu stofflich vor. Immer wieder schaute sie über die Schulter und konnte sich des Gefühls, verfolgt zu werden, nicht erwehren. Takako machte sich lustig darüber und ging selbstbewusst weiter.

Die Mädchen trennten sich an einer Stelle und jede legte den restlichen Heimweg allein zurück. Es passierte nichts weiter, doch in der Nacht hatte Takako einen seltsamen Traum.

Sie stand in einer düsteren, scherenschnittartigen Umgebung. Wind rauschte durch Blätter und aus der Ferne drangen immer wieder folgende Worte an ihr Ohr: »Gib es zurück. Gib … es … zurück.«

Doch auch wenn sie mitten in der Nacht durch den Albtraum aufwachte und vor dem Fenster der Wind aufheulte, tat sie das ganze schnell ab. Sie startete normal am nächsten Morgen in den Tag, setzte sich zum Frühstück und packte anschließend ihre Tasche, um zur Schule zu gehen.

Vielleicht war sie unachtsam, denn auf dem Weg fuhr ein Auto sie an. Takako erlitt glücklicherweise keine allzu schlimmen Verletzungen. Der Arm musste jedoch bandagiert werden und so kam sie erst zu späterer Stunde in die Schule.

Aoi, die sich schon Sorgen gemacht hatte, erschrak bei ihrem Anblick und geriet etwas außer sich. Doch Takako blieb der festen Überzeugung, dass es einfach nur Pech gewesen war.

Allerdings sollte es nicht dabei bleiben.

Seltsame Vorkommnisse suchten das Mädchen von da an heim.

Die beiden saßen wie üblich zum Mittag zusammen und aßen ihre Bentōboxen. Schon beim Öffnen der Dose drang der Gestank nach Verdorbenem in Takakos Nase. Aoi nahm das nicht wahr. Sie probierte sogar und hatte nichts auszusetzen. Doch für Takako schmeckte auch jeder Bissen faulig. Sie versuchte trotzdem etwas davon zu sich zu nehmen, konnte den vergammelten Geschmack jedoch nicht ertragen.

Nach einem unbefriedigenden Mahl machten sich die beiden zum Klassenzimmer wieder auf. Dafür mussten sie am Sportplatz vorbei, auf dem gerade die Baseballmannschaft trainierte. Eigentlich waren die Jungs ziemlich gut. In dem Moment jedoch schlug einer den Ball so unglücklich, dass er direkt auf Takako hinzuflog. Nur knapp entging sie dem Baseball, der neben ihr den Baum traf.

Aoi war sich sicher, dass das alles etwas zu bedeuten hatte. Takako wollte davon immer noch nichts hören und ging an diesem Tag mürrisch nach Hause. Kaum dort angelangt erfuhr sie jedoch, dass ihre Mutter mit einer schweren Grippe ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Damit nicht genug, ihr kleiner Bruder verletzte sich beim Aufräumen und weinte unaufhörlich.

Nur einen Tag später war Takako so mit den Nerven runter, dass sie bei jeder Kleinigkeit zusammenzuckte. Auch der Traum hatte sie wieder und wieder heimgesucht, war mit der Zeit sogar klarer geworden, so dass sie eine Gestalt unter einem Torii wahrgenommen hatte, die stets wiederholte: »Gib es zurück.«

Aoi bestand nun darauf, dass sie das Ganze ernst nahmen, und ging mit ihrer Freundin zu einer alten Nachbarin. Diese erzählte den beiden, dass Götter oder jene, die der Gottheit dienen, es nicht mochten, wenn man auf dem Schreingelände Unordnung machte, oder gar Steine oder Zweige mitnahm.

Voller Panik lief Takako nach Hause und holte den Kiesel, den sie vor wenigen Tagen vom Schrein entwendet hatte. Bereits auf dem Weg dorthin fingen beide Mädchen an eine Stimme direkt hinter ihnen zu hören. Sie liefen so schnell sie konnten die Treppe nach oben, doch bevor sie die letzte Stufe erreichten, wurden sie ohnmächtig.

Der Schreinvorsteher fand die Mädchen und half ihnen. Völlig aufgelöst erzählten sie, was sie vor ein paar Tagen hier getrieben hatten und entschuldigten sich unaufhörlich. Den Stein legte Takako zurück und beide Freundinnen spendeten und beteten am Schrein.

Zum ersten Mal seit Tagen wurde die Nacht wieder ruhiger. Beide träumten von einer lächelnden Gestalt, die hinter einem Torii stand, und so brach die Pechsträhne endgültig ab.

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Nachwort von Ellen

Wieder mal sieht man, wie wichtig es ist, sich an Regeln zu halten. Vor allem in Japan und vor allem, was den Besuch von Schreinen und Tempeln angeht. Schreine gehören im Übrigen in den shintoistischen Glauben und Tempel in den buddhistischen.

Am besten erkennt man Schreine an den Toriis. Es gibt etliche Regeln zu befolgen, sowohl gängige wie auch örtlich spezifische. Häufig finden sich darum Hinweise, wenn es Zusätzliches zu beachten gilt. Unabdingbar und selbstverständlich ist natürlich Respekt, sittsames und ruhiges Verhalten. Außerdem gibt es zwei weitere traditionelle Verhaltensweisen.

1. Reinigen

Am Eingang jedes Schreins findet sich ein kleiner Brunnen mit Schöpfkellen. Das sind keine Wunschbrunnen oder Ähnliches, sondern sie dienen dem ersten Reinigungsschritt von Händen und Mund. Die Reihenfolge ist hierbei auch vorgeschrieben: zuerst nimmt man mit der rechten Hand die Kelle und schöpft sich Wasser über die Linke. Anschließend das Gerät mit der linken Hand halten und die Rechte übergießen. Man wechselt zurück, schöpft etwas Wasser und füllt es in die Linke, um sich damit den Mund zu waschen. Aber Achtung: nicht einfach die Flüssigkeit in den Brunnen spucken, sondern in den Abfluss davor. Und als letzten Schritt noch einmal die Kelle ins Wasser tauchen und senkrecht abtropfen lassen. Erst jetzt darf sie wieder zurückgelegt werden.

2. Beten

Die nächste Aktion führt vor den Schrein. Am besten Ausschau nach der Opferkiste halten, in die man etwas Geld wirft. Es gibt hierfür keine Vorschrift wie viel. Häufig ist ein Seil in der Nähe, mit dem man die Glocke läuten kann, hieran zwei bis drei Mal ziehen und diese erklingen lassen. Nun folgt zwei Mal tief verbeugen und ebenfalls zwei Mal in die Hände klatschen. Die Götter sind nun aufmerksam und man beginnt in aller Stille das Gebet mit vor der Brust gehaltenen Händen. Am Ende nicht vergessen sich zu bedanken. In Japan ist es üblich sich viel zu bedanken und zu verbeugen. Darum auch hier am Ende erneut eine Verbeugung durchführen.

Und so hat man sich ordentlich an einem Schrein verhalten. Also viel Spaß, wenn ihr nächstes Mal einen besucht, doch klaut den Göttern dort nichts vom Gelände.

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