Vor langer Zeit lebte ein alter Mönch in einem Bergtempel, dort wo sich heute Tokyo erhebt. Zusammen mit seinem Novizen verrichtete er jeden Tag seine Arbeit und betete zu Buddha. Der Schüler schlug hierbei gewissenhaft die Mokugyo. Ab und an hüpfte die kleine Holztrommel dabei fast vom Kissen, weil die Kraft des jungen Mönches wirklich bemerkenswert war. Er war eben sehr groß und von stattlicher Figur.
Beide lebten so friedlich und die Tage verstrichen. Doch irgendwann begann der Novize sich Nacht um Nacht aus dem Tempel zu schleichen. Jedes Mal, wenn der Schüler unterwegs war, kehrte er erst kurz vor Sonnenaufgang schweißgebadet und mit hochrotem Kopf zurück. Eine Weile beobachtete der alte Mönch das Treiben, ehe er entschied, dass es so nicht weitergehen konnte. Also suchte er seinen Schützling eines Tages auf, um mit ihm zu sprechen.
»Wir müssen reden, mein Schüler«, begann er ruhig und musterte den jungen Mann mit mildem Blick. »Schon einige Zeit habe ich beobachtet, wie du dich immer wieder aus dem Tempel schleichst und erst am frühen Morgen wiederkehrst. Erzähl mir bitte, wohin du immer verschwindest.«
Ertappt druckste der Novize einige Augenblicke herum. Sichtlich unwohl rang er die Hände und stieß die Luft seufzend aus, ehe er beichtete: »Schon vor einiger Zeit bekam ich eine Einladung von Minbu–san, einem sehr edlen Herrn. Jeden Abend essen und spielen wir die Nacht hindurch.« Die Lippen des jungen Schülers zuckten und augenscheinlich schien die Erinnerung an das Festmahl ihn fröhlich zu stimmen. Dann senkte er jedoch den Kopf und fügte leiser hinzu: »Ich esse nur allzu gern, wie könnte ich da ablehnen?«
Von jemandem namens Minbu hatte der alte Mönch noch nie gehört, daher fragte er nach.
»Er wohnt in einem Haus in den Hügeln im Westen«, erklärte der Schüler aufrichtig. »Es ist groß und prächtig. Alles voller Bediensteter und jede Menge Platz zum Feiern.«
Seltsam, im Westen gab es nichts außer endlosem Wald. Nachdenklich rieb sich der Alte das Kinn. Noch nie hatte er von einem Anwesen in der dortigen Gegend gehört, schon gar keines, das so ausladend sein sollte. Irgendetwas ging hier vor, da war sich der Mönch sicher.
Nach einer durchgrübelten Nacht suchte er erneut seinen Schüler auf und bat diesen, den freundlichen Herrn doch einmal zu ihnen in den Tempel einzuladen. Er wollte sich selbst überzeugen, wer Minbu-san war und ihm für seine Gastfreundschaft danken.
Nur zu gern ging der Novize am Abend wieder zu dem wohlhabenden Herren und überbrachte die Nachricht seines Meisters. Die Zusage erfolgte prompt und Mönch und Schüler bereiteten den Empfang vor. Schon zwei Tage später tauchte der gutbetuchte Mann im Tempel auf. Vier Diener an der Zahl trugen die gewaltige Sänfte, auf der er lag. Er war eine durchaus eindrucksvolle Erscheinung.
Fröhlich verbrachten sie den Abend zusammen; speisten und tranken, lachten und tanzten. Zu späterer Stunde, nachdem der Sake gut zugesprochen hatte, erhob sich Minbu-san und forderte den Novizen zu einem kleinen Freundschaftssumō heraus.
Natürlich willigte der junge Mann ein und führte den Gast nach draußen. Sie entledigten sich ihrer Oberkleidung, während der Kreis gezogen wurde. Auch wenn Minbu-san kein Hänfling war, so war der Novize immer noch um einiges größer und breiter. Der alte Mönch überlegte, in das ganze Spektakel einzugreifen, denn der Junge unterschätzte seine Kraft ab und an und natürlich wollte der Tempelvorsteher nicht, dass dem Gast ein Unglück zustieß.
Da gab der Schiedsrichter jedoch das Zeichen den Kampf zu beginnen und beide griffen einander an die Gürtel. Ächzen erfüllte den Platz und die Ringer gerieten schnell ins Schwitzen. Entgegen der Erwartungen und Befürchtungen des Mönches drängte Minbu-san den Novizen aus dem Ring. Siegreich hob er die Arme und forderte eine zweite Runde. Auch diese entschied der Gast für sich, ebenso wie alle folgenden. Der Novize saß schon keuchend am Boden, den Kopf hochrot und mit Schweiß bedeckt. Er schaffte es nicht mal mehr auf die Beine, als sich Minbu-san bedankte und seine Diener zum Abschied zusammenrief. Er stieg in die Sänfte und verließ das Gelände.
Der alte Mönch half seinem Schüler, der immer noch dasaß und den Kopf hängen ließ.
»Ich kann nicht gewinnen. Ich kann einfach nicht gewinnen«, murmelte er niedergeschlagen. »Kein einziges Mal konnte ich Minbu-san schlagen.«
Der alte Mönch versank in Gedanken. Den ganzen Abend hatte er den unbekannten Herrn beobachtet und war sich sicher, dass er kein einfacher Mensch war. Etwas war hier im Gange, nur konnte er noch nicht genau sagen, was es war. Er half dem Jungen wieder auf die Beine und klopfte ihm auf die Schulter.
»Gräme dich nicht. Es scheint nicht alles zu sein, wie es aussieht, und wir werden der Sache schon noch auf den Grund gehen. Lass uns morgen nach Westen aufbrechen, damit ich meinerseits Minbu-san einen Besuch abstatten kann.«
Gesagt, getan. Am nächsten Tag machten sich beide auf den Weg. Sie erreichten den Wald und gingen hindurch, bis zu einer Stelle, die eigentlich hätte leer sein sollen. Doch nun erhob sich hier ein gewaltiges Anwesen – schön und prunkvoll wie ein Palast.
Diener kamen ihnen sofort entgegen und begrüßten sie. Sie führten die Besucher in die riesigen Räume bis zu einem prächtigen Saal, in dem Minbu-san sie empfing. Der Hausherr saß hier in nahezu fürstlicher Kleidung und überall wimmelte es nur so von geschäftigen Angestellten.
Der alte Mönch sah sich genau um. Wohin er blickte, strahlte ihm Reichtum und Wohlstand entgegen. Innerlich noch misstrauischer geworden, da nirgends der kleinste Makel zu finden war, wandte er sich dem Gastgeber freundlich zu.
»Mein Herr, Sie haben ein wirklich einzigartiges Heim und Ihre Stärke ist beträchtlicher als man erwarten würde.« Er trat näher und behielt dabei Minbu-san aufmerksam im Blick. »Doch komme ich nicht umhin zu glauben, dass Sie kein gewöhnlicher Mensch sind.«
Weiterhin lächelnd schaute der Hausherr auf seinen Gast und nickte plötzlich.
»Ihr habt recht, werter Mönch«, gestand er und seine Gestalt fing an zu verschwimmen und durchsichtig zu werden. Wie Nebel löste sich die menschliche Hülle auf und gab einen weißen Fuchs preis. »In Wahrheit bin ich die Fuchsgottheit von Hachiōji.«
Mit einem Mal verschwand auch die Dienerschaft. An ihrer statt sprangen von überall weitere, kleinere Füchse hervor und reihten sich um den Fuchsgott herum auf.
»Verzeiht mir meine Irreführung, doch schon immer liebte ich den Sumōkampf und habe mit allen Füchsen gerungen. Keiner konnte mir je das Wasser reichen und so zog es mich unter die Menschen, um neue Gegner zu finden. Dein Novize war so stark, dass ich nicht umhinkam ihn immer wieder um einen Kampf zu bitten. Doch jetzt, wo mein Geheimnis gelüftet ist, muss ich euch leider verlassen. Ich werde weiterziehen nach Kawagoe.«
Schon bei den letzten Worten begannen die Füchse und das Haus durchscheinend zu werden. Nach nur wenigen Augenblicken standen der Mönch und Novize auf einem leeren Platz. Über ihnen leuchtete der Mond und die Luft war erfüllt mit den leisen Klängen des schlafenden Waldes.
Der Fuchsgott kam nicht mehr zurück, doch in Kawagoe findet sich ein Inari-Schrein, deren Gottheit der Schutzheilige des Sumōs ist. Sicher schaut er bis heute noch den Kämpfen zu und erfreut sich daran. Oder vielleicht mischt er sich sogar weiterhin unter die Menschen, um mit ihnen diesen Sport zu genießen.
Nachwort von Ellen
»Der Fuchsgott, der Sumō liebte« ist ein wunderschönes Märchen mit lustigem Einschlag, wie ich finde. Das Märchen verbindet zwei sehr beliebte Themen: Füchse und Sumō. Selbst die übernatürlichen Wesen, in diesem Fall ein Fuchsgott, können sich dieser Faszination nicht entziehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es auch ein kleines, traditionelles Kinderspiel in Japan gibt, das sich mit diesem Sport beschäftigt: ton ton sumō. Und das möchte ich darum kurz vorstellen.
Es erfordert ein bisschen Bastel- und Fingerfertigkeit, aber so lässt es sich sogar gut auf eigene Vorlieben anpassen. Zuerst braucht man eine runde Unterlage, die etwas uneben ist. Des weiteren zwei kleine Aufstellpapp- oder Origamifiguren. Hier kann jeder mit ein wenig Kreativität und Geschick seine eigenen gestaltet, oder für Origamifiguren das bevorzugte Papier wählen, schon werden die Figuren individuell.
Gespielt wird, indem man die Sumōfiguren einander gegenüber auf die Kreisunterlage stellt, und dann beginnt jeder an seiner Seite mit dem Finger darauf zu klopfen. »tonton« so bezeichnet der Japaner das leichte Klopfgeräusch und sofort fangen die Minisumōs an aufeinander hinzu zu hüpfen und zu »kämpfen«.
Gewonnen hat, wer den anderen zuerst umwirft oder aus dem Ring schiebt.
Hier findet ihr übrigens eine Anleitung und Bastelvorlagen mit Mochi und Yachi Motiven. Also ran ans Papier und einfach ausprobieren. Viel Spaß.
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