Ein seltsamer amtlicher Aufruf machte im Lande zu Kazusa (heutige Chiba-Präfektur) die Runde.
»Alle Dörfer sollen jeweils ein schönes Mädchen auswählen. Diese sollen sich am zwölften Tag im Mai als Saotome gekleidet nach Fuchu begeben.«
Die Bauern in den Siedlungen wunderten sich zwar, was es damit wohl auf sich hätte, aber begannen gleich untereinander zu diskutieren, welches der Mädchen denn am schönsten sei und für ihr Dorf ausgesandt werden sollte. In Nagaramura im Chōsei-Bezirk aber waren sich alle gleich einig:
»Die Tochter vom alten Mino-Macher sollte es sein, ein schöneres Kind kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ja, wer wenn nicht sie?«
In der Hütte des alten Mino-Machers saß, aller Gerüchte unbewusst, ein schönes Mädchen an der Koto. Sowohl ihre schlanken weißen Finger als auch ihr gewissenhafter Gesichtsausdruck, mit dem sie das Instrument bediente, wirkten so edel, dass man sie niemals für die Tochter eines einfachen Handwerkers gehalten hätte. Ihre Anmut strahlte schier übernatürlich in diesem kleinen Ort, weit entfernt von der Kaiserstadt.
Der festgelegte Tag kam, und die jungen Frauen aus den Dörfern legten die Saotome-Roben an, setzten die dazugehörigen Strohhüte auf und begaben sich nach Fuchu. Zwar wusste noch immer niemand, warum sie es tun sollten, doch kamen sie dem Aufruf der Regierung vertrauensvoll nach.
Der graue Himmel versprach bereits Regen, als die Mino-Macherstochter den Fuß aus der Tür setzte, und schon bald hüllten die steten Tropfen ihre Umgebung in einen tiefliegenden Dunst. Plötzlich blieb das Mädchen stehen. Am Wegesrand hatte es, ohne Dach und ohne Tempel, eine einsame Kannon-Statue entdeckt, die dort im Regen stand.
»Oh je, wie durchnässt Ihr seid. Nicht, dass Ihr Euch erkältet, bitte nehmt doch meinen Hut«, sprach das gute Kind. Sie setzte der Statue ihren Strohhut auf, legte zu einem kurzen Gebet die Hände aufeinander und eilte erst danach weiter ihres Wegs.
Im Fuchu angekommen fragten sich die versammelte Schar, was denn nun geschehen sollte. Der Treffpunkt lag am Rand eines Reisfeldes, an dessen anderem Ende eine neu aussehende kleine Hütte stand. Ein Bambusvorhang schützte das Innere vor neugierigen Blicken, in der Luft hing der Duft von Räucherwerk. Alles machte den Anschein eines großen Anlasses, doch keiner der Beamten verlor ein Wort darüber. Als alle angekommen waren, erschallte die taktgebende Taiko, und unter Anleitung der Beamten reihten sich die Mädchen auf und begannen singend das Reisfeld zu bestellen.
Der Regen nahm zu. Zwischen all den breitkrempligen Strohhüten auf dem Feld sah man diese eine junge Frau, die ohne eine Miene zu verziehen die Setzlinge in den Schlamm drückte. Ihr langes Haar und ihr edles Gesicht waren völlig durchnässt, doch sie versuchte nicht einmal, sich abzutrocknen. Statt dessen konzentrierte sie sich voll und ganz auf ihre Aufgabe.
Sie wusste nicht, dass sie beobachtet wurde von dem Edelmann hinter dem Bambusvorhang. Selbst aus der Entfernung sah er immer wieder ihr schönes Antlitz aufleuchten wie ein Sonnenstrahl durch die Wolken, bis er einen der Beamten anwies:
»Das eine Mädchen ohne Hut, ruf es hier her.«
Er betrachtete es, als es dem Aufruf folgend vor dem Bambusvorhang niederkniete, da entglitt ihm ein erstaunter Laut, sah sie doch der Kaisergattin zum Verwechseln ähnlich. Das Staunen unterdrückend fragte er: »Mädchen, warum trägst du keinen Hut, obwohl es regnet?«
Die junge Frau errötete ob der unerwarteten Frage und antwortete bescheiden, dass sie ihren Hut der Kannon-Statue auf dem Weg geschenkt hatte.
»Ich verstehe, du hast ein gutes Herz. Nun, ich habe dich aus keinem anderen Grund hergerufen: Ich möchte, dass du mit mir in die Kaiserstadt kommst.«
»Wie bitte? Ich?«
»Ja, denn …«
Es war dem Kaiser Ichijō vor nicht so langer Zeit seine geliebte Frau gestorben, und seit dem war jener in tiefster Trauer versunken. Die Adelsleute hatten beschossen, eine Frau zu suchen, die seiner verstorbenen Liebe glich, und so war dieser Edelmann bis in dieses abseits gelegene Land gereist.
»Und dass ich sagen kann, dass du dieser Prinzessin ähnlich siehst, das liegt daran, dass ich der Vater eben jener bin, der Generalleutnant von Saga.«
Das Mädchen hatte in tiefer Verbeugung verharrt, während es zugehört hatte, und hob nun langsam ihr Haupt.
»Wenn dem so ist, dann will ich es nicht länger verheimlichen. Mein Vater war als Gouverneur in das Land von Kazusa gesandt worden. Sein Name war Prinz Gojō und er war der Bruder des Kaisers Reizei. Meine Mutter diente an seiner Seite, bis er eines Tages eilig in den Palast zurückberufen wurde. Sie starb in seiner Abwesenheit, und der Wind trug mir zu, dass auch mein Vater nicht mehr sei. Also wuchs ich auf bei meinem Onkel mütterlicherseits, der hier im Lande als Mino-Macher arbeitet.«
»Ist das zu glauben, dann bist du die Tochter des verstorbenen Prinzen Gojō.« Mit solch einem Zufall hatten weder der General noch die Beamten gerechnet. Sofort wurde eine Sänfte bereitgemacht, um die Prinzessin in die Kaiserstadt zurückzubringen.
Dort angekommen staunte auch der Kaiser und glaubte, sie sei die Wiedergeburt seiner dahingeschiedenen Liebe. Die Trauer war vergangen und in der Kaiserstadt kehrte ein neuer Frühling ein. Er liebte seine neue Königin so sehr, dass er ihr jeden Wunsch erfüllen wollte, doch sie bat nur:
»Als ich im Lande Kazusa war, stand dort am Wegesrand eine Statue der Kannon ungeschützt im Regen. Ich kann ihre traurige Gestalt nicht vergessen. Bitte erlaubt mir, ihr einen Tempel bauen zu lassen.«
Und so wurde an dieser Stelle ein prächtiger Tempel errichtet, den man Kasamori-Tempel nennt. Dort vergeht nicht ein Tag ohne schöne Blumen oder duftendes Räucherwerk, wo man sich bis heute diese Geschichte erzählt.
Nachwort von Megumi
Dass der Japaner ein besonderes Verhältnis zum Reis hat weiß man, aber wie tief das geht, ist vielleicht nicht ganz so bekannt. Zum Beispiel ist das Reispflanzen früher so wichtig gewesen, dass es vielerorts zeremoniell abgehalten wurde, mit geschmückten Ochsen und speziell dafür eingekleideten jungen Frauen. Es galt sogar als Schande, sich nicht daran zu beteiligen, denn das sorgfältige Einpflanzen wird bis heute als heiliger Dienst am Gott der Felder betrachtet. Die Kleidung besteht dabei aus einem dünnen Kimono, weißen Stulpen und einem roten Tasuki – ein schmaler Gurt, mit dem die Ärmel zurückgebunden werden, damit sie bei der Arbeit nicht stören. Außerdem gehört immer ein Strohhut dazu, der in seiner Form aber je nach Region variiert. Eine Taiko-Trommel gibt den Takt vor und die Mädchen singen beim Pflanzen. Der Monat Mai hieß früher sogar Satsuki, kurz für Sanatsuki, dem Monat der jungen Setzlinge.
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