Der Fächer unter der Mannenbashi

Oka ist ein Ort in der Stadt Yatsushiro, welche im Zentrum der Yamanashi Präfektur liegt. Dort befand sich das Haus Rokuzaemon, eine hochangesehene Familie, deren Name sowie Wohlstand und Reichtum weithin bekannt war. Doch in einem Jahr suchte das Unglück den Klan heim, indem gewaltige Regenmassen sowohl Anwesen wie auch den Großteil der Felder zerstörten. Es blieb ihnen nichts, nicht einmal Mittel, um ihr einstiges Heim in Stand zu halten.

Tamakichi, der älteste Sohn der Familie, wollte das nicht einfach nur mitansehen. Ihn schmerzte wie das Gebäude zusehends vor sich hin moderte, und so arbeitete er eifrig und aufrichtig, um es zu altem Glanz wieder aufzubauen.

So kämpfte er sich durch harte Zeiten und kehrte häufig erschöpft nach Hause zurück. Es kam eines Nachts, als er schon halb in den Schlaf gesunken war, dass ihm eine Stimme zuflüsterte: »Ich bin ein Gott der Erde. Gehe morgen früh zur Mannenbashi und hebe auf, was darunterliegt.«

Von den Worten ganz ins Wachsein zurückgezogen, setzte er sich verwirrt auf.

»Ein Erdgott?«, murmelte er zu sich selbst und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Was für ein seltsamer Traum.«

Über Tag ließ ihn der Traum jedoch nicht los, daher ging er zu besagter Stelle bei der Brücke. Nach einigem Herumsuchen fand er tatsächlich etwas: einen alten Fächer.

Verwirrt begutachtete Tamakichi das betagte Stück. Irgendwie besonders schien es nicht zu sein und wertvoll konnte man es auch nicht gerade nennen. Ein paar Augenblicke drehte der junge Mann den Gegenstand in den Händen. Doch egal wie er ihn anschaute, es blieb ein alter, wertloser Fächer. Was sollte ein solch lumpiges Ding ihm schon für Dienste verrichten? Für mehr als im Sommer ein wenig Luft zuzufächeln, taugte es wirklich nicht. Niedergeschlagen ließ er den Kopf hängen, nahm aber trotzdem den Fächer mit sich und machte sich auf den Weg zur Arbeit.

Wie jeden Tag strengte er sich auch heute besonders an, bis ihm der Schweiß regelrecht von der Stirn floss. Zum Mittag saß er mit einigen Nachbarn zusammen und bekam so ein merkwürdiges Gerücht mit: Seit einiger Zeit sah man auf dem Friedhof bei Nacht eine blaue, tanzende Flamme. Unheimlich schwebte sie dort umher und jegliche Bemühung sie loswerden, waren bisher gescheitert. Auch wenn es nicht viele gegeben hatte, die versucht hatten das Licht zu verscheuchen, denn die meisten hatten sich vor Angst nicht einmal dorthin gewagt. Wer wusste schon, was dieses seltsame Flämmchen war? Immerhin könnte es ein Kitsunebi oder Onibi sein.

Der junge Mann verfiel ins Grübeln.

»Dinge soll man ausprobieren, sagt man«, murmelte er vor sich hin und legte die Hand auf seinen Kimono, wo er den Fächer verstaut hatte. Den restlichen Tag und sogar den Weg nach Hause dachte er über die Geschichte nach.

In der Nacht war er sich sicher: Er würde dem Friedhof einen Besuch abstatten. So schlich er sich, als alle schon längst schliefen, so leise wie möglich aus dem Haus und folgte mit schnellen Schritten dem Pfad zur Begräbnisstätte.

Dort angekommen rann ihm ein Schauer über den Rücken. Was wenn hier wirklich etwas Böses lauerte oder ein Geist, der sich an ihn dran heften würde und noch mehr Unglück herbeiführte? Was wenn er so seiner Familie weiteren Schaden brachte?

In Tamakichi stritten die Gefühle, aber er drehte letztlich nicht um. Auf Zehenspitzen schlich er weiter und schaute sich um, entdeckte nach kurzem tatsächlich auch die bläuliche Flamme. In seiner Brust klopfte sein Herz so sehr, dass er meinte, es müsste auf dem ganzen Areal zu hören sein. Trotzdem nahm er all seinen Mut zusammen, schluckte ein paar Mal um den Kloß in seinem Hals loszuwerden, griff den Fächer fester und schob sich immer näher heran. Auf seinem Weg fiel ihm ein Stock ins Auge und er bückte sich kurzentschlossen danach um damit nur wenige Augenblicke später entschlossen auf das Feuer hinzuzustürmen. Mit aller Kraft und jedem bisschen Wagemut, den er finden konnte, schlug er einige Male wild in Richtung der Flamme. Diese flackerte nicht einmal und schien sich nicht im Geringsten um den Angriff zu kümmern. Unbeeindruckt schwirrte sie weiterhin in kleinen Bewegungen im Kreis.

»Definitiv kein Onibi oder Fuchsfeuer«, dachte sich Tamakichi. Er fixierte das Feuer, zog schließlich den alten Fächer hervor und wedelte sacht in seine Richtung. Obwohl er nur wenig Wind verursacht hatte, schrumpfte die flackernde Erscheinung zusammen und verpuffte mit einem Schlag. Hätte der Mond nicht groß und hell vom Himmel herabgeschaut, hätte Tamakichi in vollkommener Dunkelheit gestanden. So jedoch sah er, dass die Erde an der Stelle irgendwie anders aussah.

»Vielleicht ist hier etwas vergraben.«

Also suchte er ein festeres Holzstück und stocherte in der Erde herum. Ein Seilende lugte ihm bald entgegen, wie es normalerweise um Särge gebunden waren. Er grub noch weiter, folgte dem Band und entdeckte eine rechteckige Schachtel. Diese hob er heraus und öffnete sie: Sie war bis zum Rand gefüllt mit Kōshū-Geld.

Tamakichi sprang fast in die Luft vor Freude.

»Der Erdgott hat mich gesegnet!«, rief er aus und fiel auf die Knie um der Gottheit zu danken.

Von da an soll die Familie Rokuzaemon in noch größerem Wohlstand und Pracht gelebt haben als je zuvor.

Nachwort von Ellen

Bei diesem Märchen möchte ich hier noch einen kleinen Diskurs machen. Und zwar will ich die zwei Begriffe ein wenig näher erläutern, die in der Geschichte vorkommen: Kitsunebi und Onibi.

Erstere sind die Begleiter von Kitsune, also Füchsen, woher sie ihren Namen haben. Kitsunebi bedeutet Fuchsfeuer und oftmals erscheinen sie in unterschiedlichen Farben wie orange und rot aber auch blau und grün als schwebende Kugeln oder Feuer. Sie tauchen ausschließlich in der Nacht auf, können dabei alleine oder als eine lange Kette an Lichtern auftreten. Wo immer sie sind, ist ein Fuchsyokai, oder auch mehrere, nicht weit entfernt. Es heißt, dass Füchse die kleinen Feuerbälle aus ihrem Atem formen, andere Meinen es wären die Überreste einstiger Seelen, die nun den Kitsune folgen. Kitsunebi selbst sind harmlos, werden jedoch oftmals für Streiche genutzt, die auch mal weniger gut ausgehen können. Ab und nutzen Füchse sie ihre Begleiter einfach als Lichtquelle. Häufig bei Yokaifesten wie einer Hochzeit oder dem bekannten nächtlichen Umzug der tausend Yokai. Also immer schön die Augen offenhalten, aber gut überlegen, ob man ihnen folgt.

Die Onibi hingegen sind sogenannte Dämonenfeuer. Meistens sind sie von einem kalten blau-weiß in der Form eines kleinen, schwebenden Feuerballes, und den Kitsunebi daher recht ähnlich. Man findet sie oftmals draußen in der Natur und nicht selten wenn es regnet.

In Erzählungen heißt es, dass sie aus Leichen von Mensch und Tier aufsteigen. Was genau dazu führt, dass sich ein Onibi ausbildet, ist jedoch nicht klar. Heftige Gefühle wie Groll können hierbei natürlich eine große Rolle spielen, doch nicht immer ist das gegeben. Manchmal erscheinen sie, manchmal einfach nicht.

Anders als ihre fuchsigen Vettern geht von ihnen eine direktere Gefahr aus. Denn nähert sich ihnen ein Lebender entziehen sie ihm die Lebensenergie, bis er selbst nur noch eine tote Hülle ist.

Darum immer schön aufpassen und diesen schwebenden Feuerchen nicht zu nahe kommen.

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