Wie der Hase auf den Mond kam

Es war vor langer, langer Zeit, als die Menschen und die Tiere sich noch verstehen konnten und nebeneinander lebten, da verirrte sich an einem frostigen Wintertag ein Mann in einen Wald. Er war tagelang gewandert und hatte genauso lang nichts zu sich genommen, außer ein wenig Schnee gegen den Durst, so dass er sich, müde und hungrig, unter einen Felsvorsprung kauerte und auf den Tod wartete. Da kamen des Wegs ein Hase, ein Fuchs und ein Bär. Die drei befreundeten Tiere beschnupperten den bewusstlosen Mann und steckten die Köpfe zusammen, um zu beraten.

»Wir könnten ihn essen«, brummte der Bär, doch der Fuchs schüttelte vehement den Kopf.

»Wir sollten ihn vergraben, die Menschen tun das so«, bellte er.

»Wir sollten ihm helfen«, meinte aber der Hase, denn er kannte es so aus seiner großen Familie. »Er ist sicher hungrig, und kalt muss ihm auch sein, so ganz ohne Fell.«

Also zogen die Tiere los, um dem armen Mann zu helfen. Der Bär ging zum Fluss hinunter, wo er die jungen Forellen aus dem Wasser schlug, so viele er tragen konnte. Der Fuchs unterdessen suchte mit seiner feinen Nase die letzten Beerenbüsche unter der dicken Schneedecke hervor, und holte Feuersteine aus seinem Bau.

»He Bär«, sagte er dann, »bring mir doch mal ein bisschen Holz hierher.«

Der Bär brach einen großen Ast von einem Baum und brachte ihn dem Fuchs, und mit geschickten Pfoten entzündete er ein schönes Feuer.

Nur der Hase suchte und suchte, doch er fand keine Kräuter im Schnee und seine Pfoten waren zu schwach, um in der gefrorenen Erde nach Wurzeln zu graben. Als er mit hängenden Ohren zurückkam, lachten Bär und Fuchs.

»Wolltest du nicht helfen, Hase?«

Der Hase dachte nach und seufzte leise, dann wandte er sich entschlossen dem Mann zu, der am wärmenden Feuer langsam zu sich kam.

»Ich bin zu klein, etwas zu tun, und ich habe nichts, was ich dir geben kann, aber ich will dir trotzdem helfen. Ich gebe dir mein Fleisch, dass du wieder zu Kräften kommst.«

Und bevor Fuchs und Bär ihn aufhalten konnten, warf sich der Hase in die Flammen.

Hoch am Himmel hatte die Göttin des Mondes alles beobachtet. Wie Fuchs und Bär um ihren Freund weinten, griff sie ins Feuer und holte den aufopfernden Hasen unversehrt wieder hervor.

»Welch gutes Herz ihr alle habt. Vor allem du, kleiner Hase, hast mich sehr beeindruckt. Dem Menschen will ich einen Reiskuchen geben, den er statt deiner essen soll. Komm du mit zu mir auf den Mond und hilf mir von dort, über die Welt zu wachen.«

Und so reiste der Hase hinauf zum treuen Erdbegleiter.

So oder so ähnlich erzählt man es sich bis heute, und manchmal könnt ihr den langohrigen Schatten auf dem Himmelskörper erkennen, wie er emsig am Mörser arbeitet. Die einen sagen, er stampfe dort Reis, um Reiskuchen für die Hungrigen zu machen, andere sagen, er würde das Elixier des Lebens anrühren, um die Kranken zu heilen.

Nachwort von Megumi

Die Geschichte »Wie der Hase auf den Mond kam« ist seit meiner Kindheit eine meiner Lieblinge. Regional unterscheiden sich Details, sie wurde auch häufig interpretiert, so dass ich gar nicht genau sagen könnte, welches nun das Original wäre. Was sie für mich ausmacht ist aber die Menschenliebe und die Opferbereitschaft in der Gestalt des Kaninchens, von denen ich glaube, dass sie schützenswerte Tugenden sind, die in unserer Zeit und vor allem in der westlichen Welt ausgenutzt und zu Unrecht belächelt werden. Dass jemand bereit ist ein Opfer zu bringen bedeutet meines Erachtens nicht, dass wir das tatenlos hinnehmen sollten. Vielmehr wünsche ich mir eine Welt, in der die Hingabe des einzelnen sein Umfeld inspiriert, in der man auch dem Helfenden die Hände reicht und die Hilflosen gemeinsam zurück auf die Beine zieht – so wie die Mondgöttin dem Hasen zur Hilfe kam.

Von der persönlichen Bedeutung abgesehen erkennt man den Einfluss dieser Sage an vielen Punkten der japanischen Kultur. So gibt es zum Beispiel viele Darstellungen, die Kaninchen und Mond vereinen, oder die Marke »Usagimochi« – Hasen-Reiskuchen – die sich auf Lebensmittel auf Reisbasis spezialisiert haben.

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